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Wahre
Begebenheiten |
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Weihnachten im Schacht
von Dr.
Rudolf Mirsch
2009
Wie in vielen anderen
Bergbauzweigen war es auch in den Mansfelder
Schächten Brauch, besondere Festtage im Kreise
der unmittelbaren Arbeitskollegen zu feiern.
Das erfolgte auf unterschiedliche Weise. Es gab
eine Zeit, wo nach dem Neujahrsfest die erste
Schicht nicht gearbeitet wurde. Es heißt dazu:
Nach altem Bergmannsbrauch wird diese mit
Singen und Beten Angefangen und beendet. In
wesentlich längeren Zeiträumen wurde die letzte
Schicht des Jahres nach der Steigerbefahrung
vorzeitig beendet und die Kameradschaften
verbrachten die Zeit bis zur regulären Seilfahrt
gemeinsam vor Ort. Es wurde nicht nur erzählt,
sondern es gab häufig auch jemand, der dafür
sorgte, dass dabei im Streb ein gemeinsames
Knätzchenessen" stattfinden konnte. |
Die Betriebsruhe an Sonn-
und Feiertagen konnte nicht absolut sein. Die
Wasserhaltung und andere wichtige Betriebspunkte
mussten jedoch auch an diesen und auch an den
Feiertagen am Jahresende besetzt bleiben.
1930 waren im Bergbau noch immer 80 Pferde, davon
60 unter Tage eingesetzt, die auch an den
arbeitsfreien Tagen ganztägig versorgt werden
mussten. Aus dem Jahr 1887 ist eine kurze
Geschichte überliefert, welche den Ablauf und
die Gefühle eines dazu eingesetzten jungen
Bergmannes schildert. Sie wurde nur unwesentlich
gekürzt und geringfügig überarbeitet. Und das
ist die Geschichte des jungen Bergmanns:
Eine solche Schicht erstreckte sich auf die
Zeit von Sonntagmittag 12.00 Uhr bis Montag
morgens 6.00 Uhr, also 18 Stunden, wofür
fünfzehn Groschen vom Unternehmer des
Grubenpferdeparkes als Lohn gezahlt wurden. Das
Verfahren einer solchen Schicht ohne besondere
körperliche Beanspruchung reizte mich insofern,
als ich die betrieblichen Verhältnisse in der I.
Tiefbausohle des 81er Lichtloches noch nicht
kannte, denn bis dahin war ich nur in der Nähe
der Schlüsselstollensohle, von wo aus auch die
Einfahrt und Ausfahrt erfolgte, als Treckejunge
beschäftigt. |
Mit dem Glockenschlage 12.00
Uhr war ich auf der Hängebank vom Schachte I des
81er Lichtloches, wo mich der Futtermeister
erwartete. Die Einfahrt erfolgte sofort bis zur
I. Tiefbausohle, von wo aus nach kaum 20
Schritten der Pferdestall mit 20 Grubenpferden
erreicht wurde. Nun war ich mit dem Futtermeister
250 m unter der Erde. Die mehr als 2000 Bergleute
des Lichtloches 81 begingen ihren festgelegten
Ruhetag. Bei unserem Eintritt in den Pferdestall
reckten die stattlichen Grubenpferde ihre Hälse
und scharrten mit den Hufen, denn sie waren an
pflegerische Ordnung gewöhnt. Um die hungrigen
Mäuler zu stillen, leistete ich dem
Futtermeister Hilfe, so dass das Füttern schnell
von- statten ging. Damit war jedoch das Füttern
noch nicht erledigt, denn in der II. Tiefbausohle
waren noch 6 Pferde zu betreuen. Um nach dort zu
kommen, musste das Fahrtrum des Schachtes II von
der I. zur II. Tiefbausohle benutzt werden. Der
vertikale Abstand beider Sohlen betrug 63 m und
war mit 16 Fahrbühnen und der gleichen Zahl
Fahrten zum Ein- und Ausfahren versehen. Der
Zugang vom Schachtfüllort des Schachtes I bzw.
vom dortigen Pferdestall aus nach dem
Schachtfüllort des Schachtes II erfolgte auf dem
Bohlenbelag einer Ritzstrecke, welche zum
Auffangen der Traufwasser hergerichtet war.
Der geregelten Wetterführung halber war diese
Strecke mit einer Wettertür versehen, die nur
beim Eingang geöffnet, sonst aber geschlossen
gehalten werden musste. Um das Füttern der
Pferde, die Pünktlichkeit gewöhnt waren, zum
Abschluss zu bringen, wurde die Reise nach der
II. Tiefbausohle sofort angetreten. |
Der Futtermeister ging
voraus und ich folgte ihm auf dem Fuße. Sobald
wir die Wettertür hinter uns geschlossen hatten,
wurde ich durch das orkanartige Brausen der
Grubenluft hinter der Wettertür in Aufregung
versetzt, so dass ich nur mit beklommenem Atem
folgte, wovon er allerdings nichts merken durfte.
Hinzu kam, dass der Widerhall unserer Schritte
und die ungewohnte Umgebung deprimierend auf mich
einwirkten. Heilfroh war ich daher, als wir an
Ort und Stelle unseres Amtes walten konnten. Und
mit größerer Liebe und Sorgfalt sind die
vierbeinigen Lebewesen wohl nie betreut worden
als von mir an dem Tage, wo ich meine erste
Fünfzehn-Groschen-Schicht verfuhr. Wortlos
traten wir den Rückweg an, und so kamen wir
wieder dahin, wo uns 20 Pferde und das
Miezekätzchen begrüßten. Persönlich hatte ich
das Gefühl, dass die Grubenpferde eine gewisse
Freude empfanden, menschliche Wesen wieder in
ihrer Mitte zu haben. Inzwischen war es 14 Uhr
geworden und nach einem bescheidenen Imbiss
machte der Futtermeister sein Mittagschläfchen.
Ich selbst legte mich ins Heu, das Kätzchen im
Arm, konnte aber infolge innerer Aufregung keinen
Schlaf finden. Rübezahl, Berggeist, Gnomen und
Zwerge marterten mein Hirn. Die Zeit ging nur
schleichend dahin. Und so war für mich die Zeit
von 14.00 bis 19.00 Uhr eine kleine Ewigkeit. Im
Anschluss daran wurden die Pferde getränkt und
mit Futter für die kommende Nacht versehen. Nun
erhielt ich die Anweisung, die Pferde in der II.
Tiefbausohle zu betreuen. Widerspruch wagte ich
nicht. Ich machte mein Grubenlicht zurecht und
begab mich auf den Weg, den ich ob seiner
seelischen Qual nicht vergessen werde. Ich
öffnete die schon erwähnte Wettertür und
schloss sie sofort nach meinem Durchgang wieder
und musste feststellen, dass auf der Gegenseite
der Wetterstrom brausend Einlass begehrte.
Eine kurze Ruhepause legte ich ein, um mich zu
überzeugen, ob im Bereich des Schachtes II
einschließlich der Zugänge alles in Ordnung
war. Darauf trat ich den Marsch nach Schacht II
bzw. dem dortigen Fahrtrum nach der II.
Tiefbausohle an. Nach kaum 10 - 15 Schritten
erschallte als Folgeerscheinung meiner eigenen
Fußtritte ein vielfaches Echo von den
Streckenstößen, das ich bei meinem Glauben an
den Berggeist, als dessen Werk betrachtete und
daher sofort die Flucht bis zu der rettenden
Wettertür antrat, um von dort im Zweifelsfalle
mich in den Pferdestall oder in die Nähe eines
Wesens von gleichem Bein und Blut zu retten. Es
war die 8. Abendstunde. Es rieselten und
plätscherten die fließenden Grubenwasser,
geheimnisvoll knistert es im Gestein und aus der
Ferne ist das Echo von Druckauslösungen im
Gestein zu hören. Die Grubenluft kämpft
brausend an den Wettertüren, um den Durchlass zu
erzwingen. Im Pferdestall ist inzwischen die
Nachtruhe eingekehrt. Mit gekreuzten Beinen, den
Rücken an die Wand gelehnt, sitzt der
Futtermeister auf dem Schemel, sein mit
Elefantentabak geladenes Pfeifchen im Munde, auf
seinem Schoße ein arg zerlesenes Bündel 10 -
Pfennighefte des Romans vom
Räuberhauptmann Schinderhannes" und
kaum 8 Schritte von ihm entfernt kauert hinter
der Wettertür, Angstschweiß auf der Stirn,
zitternd mit allen Gliedern, seine Hilfskraft in
einer Situation, die wenig beneidenswert war.
Damals glaubte ich noch fest an unterirdische
Gewalten und somit auch an das sagenhafte Treiben
der Berggeister. Dass ich vor dem Widerhall
meiner Fußtritte das Hasenpanier ergriff, war
eine Folgeerscheinung des erwähnten Glaubens und
weiterhin eine Nervenprobe, der ich nicht
gewachsen war.
Nachdem ich an der Wettertür einige Zeit
verweilt hatte und innerlich etwas ruhiger wurde,
trat ich erneut den Weg zum Fahrschacht des
Schachtes II an. Dort angekommen, überzeugte ich
mich, ob in der Umgebung des Schachtes auch alles
in geregelter Ordnung war. Da ich nichts
Gegenteiliges feststellte, begann ich den Abstieg
nach der II. Tiefbausohle, der aber nicht so vor
sich ging, wie mir vorschwebte, denn wie ich die
erste Hälfte der 2. Fahrt hinter mir hatte,
gewahrte ich mehrere Fahrten unter mir ein Licht,
dass mir entgegen zu klettern schien. Noch nicht
innerlich völlig beruhigt, brachte ich das
erwähnte Licht mit dem Berggeist in Verbindung
und ergriff daher nochmals die Flucht bis zum
Schachtfüllort, wo ich den Mut aufbrachte, die
Flucht bis zur Wettertür nicht fortzusetzen,
sondern von oben her zu beobachten, ob das Licht
mir folgte. Ein Blick in die Tiefe überzeugte
mich bald, dass das Licht verschwunden war. Nun
begann ich wieder das Abklettern bis zu der 313 m
tiefen II. Tiefbausohle, von wo ich bald die
Ställe meiner Pflegebefohlenen erreichte.
Verhältnismäßig schnell erledigte ich meine
Arbeit, wobei die treuen Tiere sicher nicht zu
kurz gekommen sind, denn ich gab mehr als das mir
angeratene Soll. Mit dem Mehr glaubte ich eine
Dankesschuld abzugelten, denn in ihrer Nähe
fühlte ich mich geborgener als hinter der
Wettertür oder auf den Fahrten. Erleichtert trat
ich nun den Rückweg an, wobei ich weder nach
rechts oder nach links sah und auch Geräusche
nicht beachtete. Zurückgekommen in den
Pferdestall der I. Tiefbausohle meldete ich dem
Futtermeister die Erledigung des Auftrages.
Schnell machte ich mich daran, mein Abendbrot
einzunehmen, wobei auch für das Stallkätzchen
etwas abfiel. Nachdem dies geschehen, begab
ich mich auf mein Nachtlager, auf welches
ich das Kätzchen mitnahm und so gegen ungebetene
Gäste [den Mäusen] geschützt war.
Trotz meiner stark in Anspruch genommenen Nerven
und sonstigen Erlebnisse mit dem Berggeist,
verfiel ich bald in erquickenden Schlaf, der bis
in die hohen Morgenstunden anhielt. Auf keinen
Fall durfte aber der Futtermeister von meiner
überstandenen Angst erfahren. Auch meinen
Arbeitskameraden gegenüber blieb ich in dieser
Beziehung schweigsam, um nicht Gefahr zu laufen,
dass meine Erlebnisse allgemeines
Belegschaftsgespräch wurden und so den Weg
freilegten, mir einen Spitz- oder Spottnamen
zuzulegen, auf den ich bestimmt nicht stolz
hätte sein können.
In einer vorweihnachtlichen Dämmerstunde habe
ich am warmen Ofen meinem Vater und meinem Onkel
Wilhelm von meinem Erlebnis mit der
Fünfzehn-Groschen-Schicht berichtet. Es mag wohl
bald ein verhaltenes Schmunzeln ihren Backenbart
durchzogen haben, was ich nicht sehen konnte.
Ausgelacht bin ich von ihnen aber nicht worden,
vielmehr waren beide bemüht, meinen Glauben an
den Berggeist auf Grund ihrer langjährigen
Erfahrungen als Bergmann ins Wanken zu bringen.
Glück auf! |
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© Verein Mansfelder Berg- und
Hüttenleute e.V.
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