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Wahre
Begebenheiten |
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Eine wahre Geschichte zum
Weihnachtsfest
von Dr.
Rudolf Mirsch
2009
Vorwort:
Aus der Geschichte der Eisleber
Bergschule von 1798 1928 können wir
entnehmen, dass unter der Matrikel-Nr.168 und 169
des Jahres 1829 zwei später sehr erfolgreiche
Bergbeamte ihr Studium absolvierten Johann
Gottlieb Röhrig und Krug von Nidda. Die
Bergschüler waren damals angehalten über ihre
Studienzeit Tagebuch zu führen, die heute noch
zum Teil im Museum der Bergschule aufbewahrt
werden. Die grundlegenden Informationen der
nachfolgenden Geschichte von Dr. Rudolf Mirsch
aus den Weihnachtstagen des Jahres 1829,
entstammen dem Tagebuch des Bergschülers Johann
Gottlieb Röhrig.
Heute ist der 24. Dezember
des Jahres 1829, Heiligabend. Wie lange habe ich
diesen Tag herbeigesehnt! Mein letzter kurzer
Besuch bei der Mutter in Wettelrode ist schon
mehr als vier Wochen her. Inzwischen ist der
Winter immer deutlicher mit Kälte und Schnee ins
Land gezogen. Die sonntäglichen Gottesdienste
haben bereits eine weihnachtliche Stimmung
verbreitet. Die Sehnsucht, bald wieder im
Heimatort, bei der Mutter und den alten Freunden
zu sein, ist von Tag zu Tag stärker geworden. |
Die Unterrichtsstunden heute
verlangen aber noch einmal meine volle
Aufmerksamkeit. Dann endlich wünscht uns der
Schichtmeister, unser Lehrer Herr Plümicke, ein
gesegnetes Weihnachtsfest und gesunde Feiertage
und gibt damit gleichzeitig die Erlaubnis, eine
Woche nach Hause reisen zu dürfen.
Um 14 Uhr verlasse ich mit meinem neuen
Schulfreund aus Sangerhausen, Otto Krug von
Nidda, die Schulstadt Eisleben. Otto ist zwei
Jahre jünger als ich und noch nicht lange in
unserer Klasse. Er hat die Landesschule in Pforta
besucht und konnte wegen seiner guten Vorbildung
gleich in die Oberstufe aufgenommen werden. Wir
stellten bald fest, dass wir uns gut ergänzten.
Manche Stunde der Unterrichtsvorbereitung
verbrachten wir nun zusammen. Meine Stärken
liegen in der Praxis, seine in der Theorie.
Wir haben einen langen, gemeinsamen Fußmarsch
vor uns und viel Zeit, auch über persönliche
Dinge zu sprechen. Die letzten Häuser von
Eisleben liegen bald hinter uns. Zuerst tauschen
wir noch unsere Gedanken aus über die Aufgabe,
die wir bereits gestern am 23. Dezember bekommen
haben. In den Weihnachtsferien sollen wir eine
Disposition zur Beschreibung des neuen
Heinrich-Schachtes in den vereinigten Mohrunger
und Kuhberger Revieren erarbeiten und vorlegen.
Unsere Lehrer sind streng und verlangen viel von
uns. Aber ich bin froh, dass ich überhaupt an
der Bergschule lernen kann.
Es ist eine besondere Stimmung um uns herum, die
Dämmerung bricht langsam herein, es ist ruhig
auf der Straße, wir sind voller Vorfreude auf
den Weihnachtsabend. Ich kann jetzt auch ein
wenig mehr über meine Familie und mich
erzählen.
Otto weiß bereits, dass mein Vater nicht mehr
lebt. Ich erzähle ihm nun, dass am
2. Oktober 1819 meiner Mutter die traurige
Nachricht überbracht wurde, dass mein Vater auf
dem Alexanderschacht verunglückt sei und nie
mehr heimkommen wird. Wie sollten wir ohne den
Vater leben? Die Not war überall zu spüren. Ich
war ja noch ein Schulkind und besuchte die
Dorfschule in Wettelrode. Um die Armut zu
lindern, fuhr ich als 16-Jähriger als Bergjunge
in die Grube ein und erlernte den Beruf eines
Bergmanns. Meine Mutter und ich sind sehr dankbar
dafür, dass uns die Sangerhäuser Gewerkschaft
nicht vergessen hat. Sie zahlt wöchentlich 15
Groschen, womit die Voraussetzung erfüllt ist,
dass ich die Bergschule in Eisleben besuchen
kann.
Ich möchte niemanden enttäuschen und alle
Aufgaben zuverlässig und in guter Qualität
erfüllen. Ob mein Freund versteht, was es mir
bedeutet, hier lernen zu können?
Es wird langsam dunkel auf der Straße. Auf
unserem Weg durch Blankenheim sehen wir milden
Kerzenschein hinter den Fenstern flackern, und
jeder von uns hängt seinen eigenen Gedanken
nach. Ich sehe schon zu Hause die Mutter vor mir,
wie sie geschäftig meinen Besuch vorbereitet.
Ich glaube, sie ist sehr stolz darauf, dass ich
ein guter und strebsamer Schüler bin und nicht
nur das Vertrauen der Betriebsbeamten der Reviere
bei Wettelrode rechtfertige, die mich etwa vor
Jahresfrist zum Schulbesuch ermunterten. In den
zurückliegenden Monaten absolvierte ich in den
Eisleber Revieren mit Fleiß und bergmännischem
Geschick die Arbeitsschichten und erreichte auch
gute Leistungen in der Schule.
Auf unserem Weg kommen wir auch auf das Examen zu
sprechen, das am 6. November an der
Bergschule von den Bergschülern abgelegt werden
musste, um von der zweiten in die erste Klasse
versetzt zu werden. Was waren wir aufgeregt!
Unsere Lehrer stellen sehr hohe Forderungen und
ahnden kleinste Fehler und Nachlässigkeiten.
Musste ich doch erst drei Tage zuvor, am
3. November, eine Probearbeit noch einmal
abschreiben, weil sie meinem Schichtmeister Herrn
Plümicke nicht gut genug war. Ärgerlich war ich
vor allem auch darüber, dass ich deswegen eine
Schicht nicht anfahren konnte und so auch ein
Schichtlohn ausgefallen ist.
Wegen der Prüfung war ich zwar zuversichtlich,
aber wer ist schon völlig sicher? Alle Zweifel
und Sorgen waren vorbei, als mir bereits drei
Tage nach dem Examen Herr Obersteiger Eisentraut
mitteilte, dass ich das Examen bestanden hatte
und nun in der ersten Klasse weiter lernen durfte. |
Otto erzählt mir auch von
seiner Schulzeit an der Landesschule Pforta bei
Naumburg. Ich erfahre von ihm, dass das eine
bekannte große Internatsschule ist, deren
Tradition bereits bis in das 16. Jahrhundert
zurückreicht. In der ehemaligen Klosteranlage
der Zisterzienser aus dem 12. Jahrhundert werden
begabte Knaben auf ein Universitätsstudium
vorbereitet, und die Anforderungen sind auch
entsprechend hoch. Nun lernt Otto also hier an
unserer Bergschule, die auch einen guten Ruf hat.
Ich mache mir so meine Gedanken, frage ihn aber
nicht weiter nach seinen Beweggründen.
Nun ist es inzwischen ganz dunkel geworden. Wir
schreiten zügig vorwärts. Emseloh liegt bereits
hinter uns, und wir kommen bald nach Riestedt.
Hier trennen sich unsere Wege. Otto will weiter
nach Sangerhausen, ich werde die Abkürzung über
Gonna nach Wettelrode laufen. Der Abschied ist
kurz, wir möchten nun schnell zu Hause sein.
Jeder freut sich auf seine Familie, eine warme
Stube und ein gutes Essen. Wir verabschieden uns
mit einem festen Händedruck und guten Wünschen
für den Heimweg und die kommenden Tage.
Nach kurzer Zeit verklingen die Schritte des
Schulkameraden, ich bin allein.
Es ist dunkel, aber mir ist nicht bange, bin ich
doch erst vor kurzem diesen Weg gegangen. Ich
versuche, mich so genau wie möglich daran zu
erinnern. Und so führen mich meine Gedanken
zurück zu den Geschehnissen der vergangenen
Wochen.
Es war nach dem Lohntag am 14. November, als ich
den Weg zum letzten Mal ging, denn die Lehrer und
die Grubenofficianten hatten mir die Genehmigung
erteilt, meine Angehörigen in Wettelrode zu
besuchen. Der Urlaub wurde gegeben, weil nach dem
Examen einige Tage kein Unterricht stattgefunden
hatte. Ich weiß noch sehr genau, wie viel Geld
ich in den fünf Wochen der ersten Lohnung des
Quartals Luciae ausgezahlt bekommen habe. Für
die 27 verfahrenen Arbeitsschichten wurden mir
bei einem Schichtlohn von 7 Silbergroschen und
9 Pfennigen insgesamt 6 Reichsthaler,
29 Silbergroschen und 3 Pfennige
ausgezahlt.
Die Zeit im heimatlichen Dorf war schön, auch
wenn ich eigentlich nur einen Tag Urlaub hatte.
Meine Vorgesetzten in Eisleben hatten mir
umfangreiche Aufträge erteilt, die ich von hier
aus erfüllen sollte. So war ich bereits am
nächsten Tag auf der Kupferhütte in
Sangerhausen und anschließend beim Faktor Falke
in Grillenberg. Mit Fahrsteiger Brathuhn befuhr
ich einige Schächte in der Umgebung. Sehr
interessant war auch für mich der Besuch des
Pochwerkes, wo man mit dem
Wasserabführungsgraben und dem Bau des Gebäudes
begonnen hatte. Ich war damals sehr froh, dass
ich alle Aufträge zur Zufriedenheit erfüllen
konnte.
Ich konzentriere mich wieder voll auf meinen Weg.
Leider ist heute keine klare Winternacht, aber
ich bin sicher, dass ich die richtige Abkürzung
genommen habe.
In einer halben Stunde bin ich in Gonna, dann
noch eine Stunde, und ich bin zu Hause bei der
Mutter. Sie wartet bestimmt schon auf mich. Diese
Gedanken beflügeln meinen Schritt. Noch bin ich
überzeugt davon, dass der schmale Weg, den ich
vor mir erahne, nach Gonna führt. Doch
allmählich kommen mir Zweifel. Müsste ich nicht
längst diesen Ort erreicht haben oder täuscht
mich mein Zeitgefühl? Es ist Heiligabend, es
gibt keine Hoffnung, dass ich einem anderen
Menschen hier begegnen könnte. Noch verdränge
ich den Gedanken, dass ich mich verlaufen haben
könnte. Aber so angestrengt ich auch schaue, in
der Dunkelheit finde ich keinen Baum, keine
Stelle, die mir bekannt ist. Ich bin allein, ich
friere. Was soll ich machen, wohin soll ich
gehen? Eines weiß ich: Vor allem darf ich jetzt
nicht verzagen. Ich muss weiter laufen, um nicht
zu erfrieren. Ich mache mir selber Mut. Ich bin
jung und gesund und ich werde nach Hause kommen.
Und so laufe ich weiter und weiter. Auch nach
zwei Stunden ist alles noch fremd um mich her.
Ich unterdrücke die Angst, die in mir aufsteigt.
Die Mutter wird sich auch Sorgen machen, müsste
ich doch schon längst in Wettelrode sein. Und so
halte ich an der Hoffnung fest, dass es für mich
ein gutes Ende geben wird.
Dann nach einer weiteren Stunde in der Dunkelheit
und der kalten Stille, in der ich nur das
Geräusch der eigenen Schritte höre und sonst
nichts, komme ich an eine Stelle, die mir bekannt
ist. Jetzt weiß ich, dass ich bald zu Hause bin.
Ein Gefühl der Freude überkommt mich, die
Spannung fällt langsam von mir ab, ich spüre
aber auch, dass ich sehr müde bin. Nun wird
alles gut.
Die Mutter empfängt mich mit Tränen in den
Augen. Ich umarme sie und bin einfach nur
glücklich, dass ich wieder hier bei ihr bin. Bis
an mein Lebensende werde ich diese lange, einsame
Wanderung an diesem besonderen Weihnachtsabend
nicht vergessen.
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*****
Johann Gottlieb Röhrig (* 22. Juli
1808, + 27. März 1875),
verdienstvoller Bergmann, Obersteiger (1841),
Berggeschworener (1857). Namensgeber des
Röhrigschachtes in Wettelrode
Otto Ludwig Krug von Nidda (* 16. Dezember 1810
in Sangerhausen, + 03. Februar 1885 in
Berlin), Geheimer Oberbergrat (1856), Leiter der
Abteilung für das Berg-, Hütten- und
Salinenwesen, 1865 Oberberghauptmann.
Karl Friedrich Ludwig Plümicke (* 06. März
1791, + 27. April 1866),
verdienstvoller Lehrer an der Bergschule in
Eisleben, Schichtmeister am Froschmühlen- und
Erdeborner Stollen, Stollenfaktor, Bergrat,
Ehrenbürger der Stadt Eisleben.
Johann Christ. Eisentraut (* 07. Februar 1772, + 09. Dezember 1830),
Obersteiger, 2. Lehrer. |
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